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Strafvollzug: Folgen einer Selbsttötung
Vor einigen Monaten berichtete ich über den mutmaßlichen Selbstmord eines Gefangenen in der Haftanstalt Bruchsal ( "Selbstmord im Gefängnis? Weshalb mußte B. sterben?"); nach einigen Tagen stand fest: Der Mitgefangene hatte sich in seiner Zelle tatsächlich erhängt.
Betroffen über diesen Suizid, schrieb die Insassenvertretung (dabei handelte es sich um ein von den Gefangenen der Anstalt gewähltes Gremium, bestehend aus fünf Gefangenen), vertreten durch ihren Ersten Sprecher G. und Protokollführer L. einen Brandbrief und verteilten diesen an Gerichte, Abgeordnete, sowie die Landesjustizministerin; des weiteren hängten sie eine Kopie dieses Briefes in der Justizvollzugsanstalt (JVA) aus. Sie fragten nach der Mitverantwortlichkeit von Justizmitarbeitern an diesem Suizid und führten aus, die JVA habe Vollzugslockerungen offenbar verzögert, bzw. abgelehnt.
Folge dieses Schreibens war, dass beide Insassen, Herr G. und Herr L. vom Leiter der Anstalt aus der Insassenvertretung geworfen (dazu ist ein Anstaltsleiter ggf. befugt, soviel zur Demokratieerziehung im Vollzug), sowie mit drei Tagen Arrest (zu verbringen in einer kahlen Zelle, nur mit Bett, Klo, Tisch/Stuhlersatz ausgestattet) bedacht wurden. Beide Gefangene wehrten sich gerichtlich gegen diese Anordnung, bzw. Disziplinierung - erfolgreich!
Jetzt, im Dezember 2003 hob das zuständige Landgericht den Arrest ebenso auf, wie den Hinauswurf aus der Insassenvertretung. Zwar bescheinigte das Gericht dem Gefangenen G., er hätte durch das Schreiben, sowie das Aushängen desselben in der JVA das „geordnete Zusammenleben innerhalb der Anstalt“ gestört, das Schreiben sei ferner geeignet, „die Arbeit der Anstaltsbediensteten nicht nur außerhalb (der Anstalt) zu verunglimpfen“. Denn tatsächlich habe die JVA keine Vollzugslockerungen verzögert, sondern vielmehr habe die sachlich zuständige Abteilungsjuristin nachgefragt, wie der Sachstand sei (der verstorbene Insasse verbüßte eine lebenslange Freiheitsstrafe, bei diesen muß das Ministerium der Gewährung von Ausgängen zustimmen).
Nach Ansicht des Gerichts stellt das Verhalten des Gefangenen G. jedoch keine schwere Verfehlung dar, ferner sei es ihm nicht zu verwehren, dass er sich kritisch mit der Frage des gesetzlich normierten Resozialisierungsgedankens auseinandergesetzt hätte in "seinem" Schreiben.
Es steht zu erwarten, dass der Beschluss durch die Vollzugsbehörde angefochten werden wird, so dass letztlich das Oberlandesgericht Karlsruhe zu entscheiden hat, ob die Maßnahmen des Leiters der JVA gesetzeskonform sind.
Die massive Reaktion der Anstalt mag Außenstehende verwundern (zumal ihr nun von einem Gericht deren Rechtswidrigkeit attestiert wurde), scheint doch dieser ein obrigkeitsstaatliches Weltbild zugrunde zu liegen. Jedoch entspricht diese Form des Umgangs seitens der Anstalt mit den Gefangenen dem Alltag; dass auch Gefangene Grundrechtsträger sind und ihnen nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts das Recht zu polemischer und überspitzter Kritik zusteht, wird gerne vergessen. Sicher, es wäre vielleicht sinnvoller gewesen, hätten G. und L. zuerst mit dem Anstaltsleiter gesprochen, bevor sie unmittelbar nach dem Suizid des Gefangenen den Brandbrief verschickten, andererseits ist ihre Reaktion ohne weiteres verständlich angesichts ihrer Betroffenheit, kannten sie doch den verstorbenen Insassen seit vielen Jahren. In Sachen Meinungsfreiheit und souveränem Umgang scheint im Strafvollzug jedoch vieles im Argen zu liegen.
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