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Strafvollzug: Neuerungen ab 2005

Die Einsparungen im Finanzhaushalt der Länder schlagen seit eh und je auch auf die Gefangenen durch, sei es, daß – wie z.B. in Berlin – Seelsorgerstellen gestrichen werden (die Finanzpolitiker sprechen von "Kw"-Vermerken. Wobei "Kw" für "Kann wegfallen" steht. In den Haushaltsplänen steht dann neben solch einer Stelle das Kürzel "Kw"; sobald der oder die Stelleninhaberin stirbt oder in Pension geht, gilt die Stelle als gestrichen), oder es werden aus Gründen fehlender Wärter Freizeitgruppen aufgelöst, Zellenaufschlußzeiten gekürzt oder Vollzugslockerungen nicht durchgeführt.

In Baden-Württemberg werden hier in der JVA (= Justizvollzugsanstalt) 15 % der Ausgaben für Ernährung pauschal gestrichen. Ich erhalte monatlich eine "Haftkostenrechnung", da ich mich weigere, in Isohaft sitzend, dort auch noch der Zwangsarbeit nachzugehen. Dort werden, d.h. auf besagter Rechnung, monatlich 42,80 Euro für Frühstück, 76,50 Euro für Mittagessen, sowie 76,50 Euro für Abendessen berechnet. Wer nun meint, daß ab 2005 sich diese Beträge um 15 % verringern, der irrt! Vielmehr steigen die mir in Rechnung gestellten Beträge – so erwirtschaftet faktisch die Justiz einen erklecklichen Gewinn (nun ja: würde erwirtschaften, könnte ich die Rechnungen bezahlen. Da ich kein Geld besitze, behält die Justiz sich jedoch 30 Jahre lang das recht vor zu pfänden).

Ab 01.01.05 werden zudem in allen Haftanstalten Baden-Württembergs von erwachsenen Strafgefangenen und Sicherheitsverwahrten, Zuzahlungen zu Arznei-/Verbands-/Heil- und Hilfsmitteln verlangt. Die Anstalt und das Justizministerium berufen sich dabei auf das Gesetz zur Strukturreform, bzw. Modernisierung im Gesundheitswesen: da alle freien Bürgerinnen und Bürger, die Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind, Zuzahlungen zu leisten hätten, gälte dies auch für Gefangene. Dabei wird argumentiert, daß in § 61 Strafvollzugsgesetz hinsichtlich des "Umfangs der Leistungen" für Gefangene, die krank sind, auf das Sozialgesetzbuch verwiesen werde; dies genüge als Rechtsgrundlage, um Gefangene Zuzahlungen abzuverlangen.

Auf die 10 Euro Praxisgebühr werde verzichtet, so heißt es, da im Vollzug keine freie Arztwahl herrsche, vielmehr sei die Stellung des Anstaltsarztes bzw. der -ärztin orientiert am "Hausarztmodell". Und aus "Billigkeitsgründen" wird auf die Krankenhausgebühr für schwerstkranke Insassen, die ins Vollzugskrankenhaus verlegt werden müssen, ebenfalls verzichtet; dem Grunde nach bestünde jedoch auch hier eine Zuzahlungspflicht.

Während also den Gefangenen die Zumutungen des Alltags in Freiheit auferlegt werden, stets unter dem Deckmantel der "Angleichungen der Lebensverhältnisse" zwischen Gefängnisleben und Freiheit (§ 3 StrVollzG sieht nämlich tatsächlich die Angleichung vor), werden die positiven Aspekte allzu gerne verweigert. Oft sind es nur Kleinigkeiten: 2004 wurde der Videotext verboten für Gefangene mit Fernsehgerät; auf Viva und MTV wurden in der JVA per Software dicke schwarze Balken einprogrammiert, damit die Laufbalken-/bänder unsichtbar würden (man behauptete, es bestünde die Gefahr verbotener Nachrichtenübermittlung an Gefangene); Kochen in der Zelle ist verboten; es gibt keine freie Arztwahl. Nicht zuletzt herrscht Arbeitszwang!

Wünschenswert wäre, daß die Gefangenen gegen die einschneidenden Maßnahmen protestieren und für ihre Rechte eintreten. Bedauerlicherweise muß davon ausgegangen werden, daß die übergroße Mehrzahl nach ein wenig murren alle Beschränkungen akzeptieren wird. Dabei dürften die erwähnten einschneidenden Veränderungen nur der Anfang sein, denn die (nur vorübergehend gescheiterte) Föderalismuskommission plant, die Zuständigkeit für den Strafvollzug vollständig den Ländern zu übergeben, so daß es in wenigen Jahren 16 Landes-Strafvollzugsgesetze geben wird und die Bundesländer sich, wie es die schleswig-holsteinische Justizministerin formulierte, einen "Schäbigkeitswettbewerb" in der Absenkung der Standards liefern dürften.




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last modified 23.11.2017 | webmaster