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Solidarität



Zuerst erschienen in: Bruchstellen, Nr. 42, Österreich

„Solidarität ist eine Waffe“, so das Motto der zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Zeilen noch nicht verbotenen Roten Hilfe e.V. in Deutschland, auch wenn deutsche Repressionsbehörden, so man Berichten in der taz und FAZ Glauben schenken mag, eifrig an einem etwaigen Verbot arbeiten.

Solidarität ist jedoch nicht nur eine Waffe, sie ist mehr, viel mehr: sie bedeutet, an der Seite von Menschen zu stehen, mit ihnen zusammen, auch wenn der Wind in Orkanstärke von vorne ins Gesicht bläst, wenn das Tränengas einen fast kotzen lässt, das die Polizei mal wieder versprüht. Solidarität meint, Menschen zu stützen, wenn sie bedrängt werden, sich vor, hinter und an ihre Seite zu stellen.

Solidarität ist lebendiges, lebensbejahendes Leben; nicht das isolierte Individuum das sich selbst überlassen bleibt und vom Kahn hinunter ins tosende Meer gestoßen wird um zu ersaufen, sondern gemeinsam an einer neuen Zukunft zu arbeiten. Denn das ist Solidarität gleichfalls: Arbeit! Sie ist anstrengend, fordernd, kräftezehrend – und genau dies, und all das zusammen kann sie so befriedigend und erfüllend machen.

Wie ist es nun um die Gefangenensolidarität bestellt? Wenn ich auf die letzten 20 Jahre zurückschaue, also sehr subjektiv gefärbt, dann beobachte ich eine Wellenbewegung. Auf ein Tal folgt eine Anhöhe und dieser wieder ein Tal. In den 90er und 2000er Jahren begannen sich zunehmend wieder Anti-Knastgruppen zu bilden, nach anarchistischen Grundsätzen. Ich denke nicht nur an ABC, sondern auch an LOM (Libertad o muerte), die Anti-Knast-Gruppe Bielefeld und viele andere Gruppierungen. Heute sind neben (mittlerweile wieder sehr wenigen) ABC-Gruppen, dem „gefangenen-info“-Projekt, der Gefangenengewerkschaft GG/BO, Roter Hilfe im deutschsprachigen Raum nur wenige sonstige Gruppen aktiv. Und selbst die namentlich hier aufgezählten leiden in der Regel an personellem Schwund.

Die Bereitschaft sich zu engagieren scheint zudem mit zunehmendem Alter zu schwinden, wer noch mit 18, 20, 25 sehr aktiv ist, kehrt oft mit 30 oder 35 ins bürgerliche Leben ein und zieht sich von emanzipatorischen Bewegungen zurück (das betrifft selbstredend nicht alle).

Misslich aus Gefangenensicht: Immer weniger Menschen sind bereit sich offen zu bekennen, schreiben nur noch anonym, oder unter Pseudonym, wenn überhaupt! Dabei ist gerade Post der elementare Lebensfaden für die Gefangenen, die sie mit dem Leben vor den Mauern in Verbindung hält.

Selbst jene, die in politischen Zusammenhängenden aktiv sind, scheuen sich Gefangene zu besuchen, denn dort könnte ja die Justiz ihre Personalien abgreifen und Mensch wäre fürs Leben gebrandmarkt. Eine im Regelfall überflüssige Sorge; im Regelfall deshalb, weil wer später mal im Staatsdienst arbeiten möchte durchaus in Einzelfällen Gefahr laufen kann, dass so ein Besuchskontakt in irgendeiner VS-Datei landet und hervorgezaubert wird. Das sind aber Einzelfälle.

Aber auch ganz handfeste materielle Hilfe unterliegt diesen Wellenbewegungen; oder auch die Proteste vor den Knastmauern. Zwar gibt es erfreulicherweise immer regelmäßiger die Knastdemos an Silvester aber eben fast nur an Silvester. Quasi der „Muttertag“ der Linken, wenn ich es mal böse formulieren mag, mensch erinnert sich und andere daran, dass da doch irgendwas ist, um dann 364 Tage des Restjahres wieder in Schweigen zu verfallen.

Ähnliches bekomme ich immer wieder auch von jenen rückgemeldet, welche sich selbst seit Jahren aktiv in Anti-Knastgruppen einbringen, oder auch resigniert aufgeben und sich ins Private zurückziehen. Mitunter hängen Projekte an einem oder an zwei Menschen; spontan fällt mir die Sendung des Knastradios auf Radio Flora, moderiert von Wolfgang, ein: er ist über 60 Jahre und seit den 70ern Aktivist, wenn er mal nicht mehr unter uns weilen sollte, wird’s schwer. Oder hier in Freiburg: die Soligruppe der GG/BO war zu Anfang voller Elan, um dann alsbald sich in alle Winde zu zerstreuen. Diese Extreme, hier die Langlebigkeit, dort das Aufflackern, bestimmen die Soliarbeit; wobei letztere besonders frustrieren.

Trotz allem gilt es beharrlich zu sein, jene die sich vor den Mauern solidarisch verhalten und auch hinter Gittern; Durststrecken müssen ausgesessen werden, denn von bloßem Jammern wird’s auch nicht besser.

Solidarität heißt Leben!

In diesem Sinne

Thomas Meyer-Falk

– in Haft seit 1996 –

https://freedomforthomas.wordpress.com




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last modified 09.02.2019 | webmaster