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Weihnachten im Gefängnis
„Wie verbringen Gefangene Weihnachten?“ Ist das überhaupt eine wesentliche Frage, überlege ich mir gerade. Soviel, wie ich hier in der Zelle (ich sitze in Isohaft) durch Radio und Zeitungen mitbekomme, aber auch durch Briefe, leben die Menschen außerhalb der Mauern unter dem Diktat des „Weihnachtsterrors“, veranstaltet von den Firmen, die ihre Ware absetzen wollen, aber auch veranstaltet von ihnen selbst, weil sie sich aus irgendwelchen, für viele nur schwer in Worte zu kleidende Vorstellungen heraus, selbst unter Druck setzen: ich muß jetzt fröhlich und besinnlich sein, zu Weihnachten sind wir alle – gefälligst – friedlich!
Es versteht sich wohl von selbst, daß für Gefangene in Isolationshaft dieses „Programm“ noch dürftiger ist, bei mir besteht es aus 60 Minuten alleine im Hof spazieren und den Rest der Zeit in der Einzelzelle (nicht umsonst heißt es ja auch „Einzelhaft“). Damit es aber auch zur Weihnachtszeit etwas zu lachen gibt, ist hier in der Anstalt die schon manchem bekannte Oberregierungsrätin G. am werkeln (vgl. ihren Einstand „Luftballonaffäre“: ![]() ![]() Als ich kürzlich ein Hüpfseil begehrte, um mich in der Zelle sportlich zu betätigen – nur in einem gesunden Körper soll angeblich ein gesunder Geist wohnen – lehnte die Dame es nicht etwa ab, weil ein Seil in klassischen Ausbrecherfilmen sein Funktion als Fluchtmittel hat, sondern (animiert evtl. von „Schweigen der Lämmer“?) mit der Begründung, dies Seil sei ein „Drosselungsinstrument“. Sie regte zudem an, daß man auch mit einem – Zitat – „imaginären Seil“ die gleichen Bewegungen vollführen könne wie mit einem echten Hüpfseil. Die Freude beim Landgericht, sich mit der Sinnhaftigkeit und Begründung dieser Verfügung auseinandersetzen zu dürfen, wird unglaublich sein. Aber zurück zu Weihnachten 2003: ich selbst werde es lesend und Radio hörend verbringen. Seit der Verhaftung 1996 verbrachte ich jedes Weihnachten in strenger Einzelhaft (nur im Frühjahr 1998 war diese kurzfristig etwas aufgelockert, kurz darauf aber wieder vollumfänglich vollstreckt worden) und habe so meine Rituale. Jedes Jahr höre ich mir das Weihnachtsoratorium von Bach im Radio an und ich verbringe, was ich sonst nicht so gerne mache, den Tag im Bett – mit dicken Romanen. Und ehe ich mich versehe, sind diese Tage vorbei, es wird Sylvester und das neue Jahr bricht an...
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![]() ![]() ![]() ![]() last modified 23.11.2017 | webmaster |