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Knast und Disziplinarmaßnahmen

Knast und Disziplinarmaßnahmen - über die Renitenz einer JVA

Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug sind keine Seltenheit; verstößt ein Gefangener schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch das Strafvollzugsgesetz oder auf Grund dieses Gesetzes auferlegt sind, kann der Anstaltsleiter gegen ihn Disziplinarmaßnahmen anordnen (§ 102, Absatz 1 StrVollzG).
Diese sind mitunter sehr einschneidend: Beispielsweise kann Arrest von bis zu vier Wochen verhängt werden. Arrest wird in einer kalten Zelle, ohne TV, ohne Radio, ohne Bücher, ohne Kontakt zu Mitgefangenen, meist auch ohne Besuche von Freunden oder Briefverkehr, gewissermaßen also in Totalisolation verbracht.

Mildere Disziplinarmaßnahmen sind zum Beispiel Beschränkung der Teilnahmemöglichkeiten an Freizeitaktivitäten, Radio-/Fernsehentzug für eine gewisse Zeit (vgl. § 103, Absatz 1 StrVollzG).

Man sollte meinen, die Justizvollzugsanstalten würden penibel die Formvorschriften im Rahmen des Disziplinarverfahrens einhalten, schließlich werden Knäste von einem Stab an Juristinnen und Juristen geleitet.

Ich selbst musste vor einigen Jahren das Recht erstreiten, mich vor Verhängung einer Disziplinarmaßnahme mit meinem Verteidiger besprechen zu dürfen (vgl. OLG Karlsruhe in Neue Zeitschrift für Strafrecht-Rechtssprechungsreport 2002, Seiten 29 ff). Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, jedoch meinte der damalige Anstaltsleiter Rüdiger Rehring - zwischenzeitlich zum Oberstaatsanwalt und stv. Chef der Karlsruher Staatsanwaltschaft befördert -, solche Minimalrechte gälten nicht für verurteilte Verbrecher; erst das OLG belehrte ihn eines besseren.

Nunmehr musste das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe erneut die Anstaltsleitung auf Einhaltung von Recht und Gesetz verpflichten.

Im Dezember 2004 verhängte die JVA Bruchsal vier Tage Arrest gegen Herrn K., da dieser verbotenerweise Mithäftlinge tätowiert habe. Herr K. war seinerzeit in ärztlicher Behandlung. Für diesen Fall schreibt § 106, Absatz 2 StrVollzG zwingend die Einschaltung des Gefängnisarztes vor Verhängung einer Disziplinarmaßnahme vor.
Die zuständige Juristin ignorierte den Gesetzesbefehl und disziplinierte Herrn K. ohne ärztliche Konsultation. Das Landgericht, von Herrn K. eingeschaltet, bestätigte diese Ignoranz gegenüber dem Gesetzeswortlaut.

Am 13.3.2006 (Az: 1 Ws 103/05) entschied nunmehr das OLG Karlsruhe, dass sich auch die Damen und Herren JVA-Beamte an das Gesetz zu halten hätten und hob den LG-Beschluss, sowie die Disziplinarmaßnahme auf: § 106, Absatz 2 müsse strikt befolgt werden!

Schon wenige Tage später, nämlich am 24.3.06 musste das OLG jedoch erneut eingreifen: Herr K. war im September 2005 ein weiteres Mal wegen (angeblichen) Tätowierens mit vier Tagen Arrest belegt worden. Er war zum Zeitpunkt der Disziplinierung sogar krank geschrieben, d.h. es drängte sich geradezu auf, dem zu folgen, was in § 106, Absatz 2 StrVollzG steht:


"Vor der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme gegen einen Gefangenen, der sich in ärztlicher Behandlung befindet oder gegen eine Schwangere oder eine stillende Mutter ist der Anstaltsarzt zu hören".


Vollzugsanstalt und Landgericht ignorierten erneut diese Bestimmung. Da Herr K. nunmehr am 27. März 2005 den Arrest hätte antreten sollen, ordnete - auf seinen Eilantrag hin - das OLG im Wege einer Eilentscheidung an, dass der Arrest vorläufig nicht vollstreckt werden dürfe (Az: 1 Ws 60/06; Beschluss 24.3.06). Eine solche Eilentscheidung eines Oberlandesgerichtes in einer Disziplinarangelegenheit ist außergewöhnlich.

Schon in den 80'er Jahren sprach Professor Feest (Strafvollzugsarchiv der Uni Bremen; http://www.strafvollzugsarchiv.de) von der Renitenz der Vollzugsanstalten. Einmal zu Gunsten des Knastpersonals unterstellt, sie würden tatsächlich an einer Resozialisierung der Inhaftierten ein Interesse haben, weshalb ist man dann nicht gewillt, die minimalen (Verfahrens-) Rechte der Insassen zu respektieren?

Auf die Gefangenen wirkt das Verhalten des Anstaltspersonals jedenfalls so, als dürfe zwar jenes jederzeit und disziplinarisch folgenlos die Rechte der Inhaftierten verletzen, wer jedoch als Gefangener die ihm auferlegten Pflichten verletzt, der wird rigoros mit Disziplinarverfahren überzogen. Da nunmehr unanfechtbar feststeht, dass die JVA-Juristin gegen wesentliche Verfahrensrechte verstoßen hat, wäre ein Disziplinarverfahren gegen sie eigentlich nur folgerichtig - allerdings wird es so etwas selbstredend nicht geben.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA - Z. 3117, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
http://www.freedom-for-thomas.de




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last modified 23.11.2017 | webmaster