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Strafvollzug in NRW – Über einen Kommissionsbericht

In der JVA (Justizvollzugsanstalt) Siegburg kam es im November 2006 zu der Ermordung eines Gefangenen durch seine Zellengenossen. Diesen Vorfall nahm das Justizministerium von Nordrhein-Westfalen zum Anlass die Situation in den Gefängnissen von einer Kommission untersuchen zu lassen. Vorsitzender dieser „Kommission Gewaltprävention im Strafvollzug – NRW“ – wie sie offiziell genannt wurde, war der ehemalige Innensenator von Berlin, Eckhart Werthebach. Weitere Mitglieder waren u.a. Prof. Laubenthal aus Bayern und auch ein Rechtsanwalt.

Diese Mitglieder besuchten nicht nur die Jugendanstalten, sondern auch sämtliche für Erwachsene bestimmte Gefängnisse in NRW. Hierüber legten sie dann am 26. Juli 2007 ihren Bericht vor. (2. Teilbericht: Ergebnis der Überprüfung des Erwachsenenstrafvollzugs in NRW“).

Auf knapp 250 Seiten wird die Situation in den 33 Anstalten des Landes kurz skizziert. Für jedes Gefängnis wird tabellarisch eine Belegungsübersicht (d.h. es wird die Zahl der Inhaftierten mit der eigentlich zulässigen Belegungszahl verglichen), eine Übersicht wie viele Gefangene arbeiten (oder Arbeit verweigern) und eine Darstellung über die Personalsituation geboten.
Ferner werden kurz die nach Meinung der Kommission wichtigsten Missstände in der jeweiligen Anstalt dargestellt.

Detailliert werden auch für jede Anstalt „besondere Vorkommnisse“ ab 2002 aufgelistet, d.h. Schlägereien unter Gefangenen und welche Konsequenzen die Anstaltsleitung im Einzelfall getroffen, hat ob sie also bspw. Strafanzeige erstattete.

In getrennten Abschnitten wird der Frage nachgegangen welche Ursachen und Anlässe Gewalt aus Sicht von Gefangenen und aus der Sicht der Bediensteten begünstigen.
Die Gefangenen rügten insbesondere, dass immer mehr „weggeschlossen“, anstatt behandelt werde, dass Gefangene gegen ihren Willen zu zweit oder dritt in Einzelzellen zusammengepfercht würden.
Aus Sicht der Bediensteten, die ebenfalls diese Aspekte bemängelten, trage auch der Drogenhandel viel zur Gewalt bei, aber auch die einer Behandlung völlig unzulänglichen Übersiedler aus den GUS-Staaten.

Gegen Ende des Berichts äußern die Mitglieder der Kommission 12 Empfehlungen. Sinnigerweise wird an erster Stelle die Schaffung von zusätzlichen Haftplätzen genannt. Aber es wird auch gefordert, dass die Fachdienste (Sozialarbeiter, Psychologen, u.a.) in den Abendstunden und an Wochenenden Dienst tun müssten, dass Gefangene seltener in ihren Hafträumen eingeschlossen würden, dass psychisch kranke Gefangene besser und intensiver behandelt gehören. Auch müsste den Inhaftierten mehr Kontakt zur Außenwelt (z.b. Telefone) eingeräumt werden, als dies bislang der Fall ist.

Aus meiner Sicht hat der Bericht positive und negative Seiten. Sicherlich ist positiv zu bewerten, dass sich erstmals seit langer Zeit wieder kritisch mit dem Thema „Knast“ beschäftigt wurde – und zwar nicht ausschließlich von politisch linker Seite aus, sondern auch und gerade von Seiten der Konservativen und der etablierten Parteien. Es bedurfte leider eines Mordes an einem Gefangenen (den Mord nennt der Bericht übrigens an einer Stelle „Todesereignis“, was geschmacklos klingt) um das Augenmerk auf die bedrückende Situation hinter den Gefängnismauern aufmerksam zu machen.

Überhaupt nicht hinterfragt wird die Sinnhaftigkeit von Gefängnissen (dies würde wohl die Reflexionsfähigkeit der Kommissionsmitglieder überfordern), aber selbst nach Ansicht dieses Staates konstitutive Rechte werden stillschweigend übergangen: Eine Doppelbelegung einer Einzelzelle in der das WC nicht räumlich abgetrennt ist, ist verfassungs- weil menschenrechtswidrig. Anstatt also für eine Freilassung von Gefangenen zu plädieren, wird nach noch mehr Haftplätzen gerufen. Und dies in Zeiten in denen die Kriminalität zurückgeht (und nicht etwa exorbitant steigt, wie viele BürgerInnen aufgehetzt durch Medien und Politik, glauben) ...

Auch die Forderung nach einem Ausbau der Gefängnisarbeit (die sich schlicht als Zwangsarbeit darstellt; selbst das Grundgesetz nennt sie so) – übrigens nicht nur von den Kommissionsmitgliedern, sondern (leider) auch vielfach von Gefangenen verlangt – erscheint aus meiner Sicht verfehlt.
Uns Gefangenen wurde die Freiheit genommen, nun sich auch noch unserer Arbeitskraft zu bedienen, verschärft die Behandlung als Objekt. Es ist fraglich ob in Gefängnissen der Inhaftierte je Mensch oder doch (meist) nur Objekt war. Aber heute, heute im Jahr 2007, kann man nicht bestreiten, dass der Gefangene/die Gefangene Objekt ist. Er/Sie hat eine Nummer, ist Verfügungsmasse, wird heute hierhin und morgen dorthin „verschubt“ oder verschoben.

Dass sich in einer solchen Situation Gewalt entwickelt, liegt auf der Hand.
Bezeichnenderweise wurde mit keinem Wort die Gewalt benannt, die von Seiten der Wärter gegenüber den Gefangenen ausgeübt wird – als ob es die nicht auch gäbe.




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last modified 23.11.2017 | webmaster