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Kacken, fressen roboten - eine kurze Geschichte

Kacken, fressen, roboten – eine kurze Geschichte aus der Gefängniswelt

“ Kacken, fressen, roboten, fressen, roboten, Auslauf, fressen, schlafen–der, bzw. die geneigte Leser/Leserin mag mir die Wortwahl nachsehen.
Ich habe hier den Alltag eines durchschnittlichen Gefangenen in acht Worte zusammengefasst; notgedrungen um manches Detail, wie beispielsweise Hirn–vom– Fernseher–betäuben–lassen, Playstation – spielen, verkürzt. Und wesentlich anders sieht möglicherweise das Leben mancher Menschen in Freiheit auch nicht aus!?
Sitzt der betreffende Gefangene in Einzelhaft, so entfällt das roboten und der Tag reduziert sich auf kacken, fressen, fressen, Auslauf, fressen, schlafen.

So ähnlich beschrieb mir gegenüber kürzlich ein Sicherungsverwahrter, während im Gefängnishof der 1848 erbauten Haftanstalt im Kreis joggten (einmal im Rund: 200 Meter, die fahle, schmutzig–graue Außenmauer immer im Blick, 5 m Luftlinie entfernt die Freiheit),
seine Sichtweise der Dinge. Wir sind beide vom Vollzugsalltag abgesondert, und mit uns noch eine Handvoll anderer “ (flucht) gefährlicher “ Insassen; während ich den Rest des Tages alleine in der Zelle sitze, arbeiten die meisten anderen dieser Gefangenen in einem speziellen Betrieb für “ gefährliche “ Insassen, dürfen jedoch am normalen sonstigen Vollzugsgeschehen ebenso wenig teilnehmen wie ich.
Auch wenn es mühsam ist gegen den Zeitgeist, der für immer längere Strafen und möglichst härteren Strafvollzug plädiert, zu argumentieren, so nehme ich dieses Recht doch für mich in Anspruch.

Kürzlich berichtete der SPIEGEL (Ausgabe38/2006, Seite 44-46) über eine mögliche Begnadigung des RAF Mitglieds Christian Klar nach bald 27 Jahre Haft. Die drei einzigen hierzu später abgedruckten Leserebriefe sind wohl symptomatisch für den Ist – Zustand der Gesellschaft. Leserbriefschreiber Philipp Ivic aus Dresden (laut eigenen Bekunden Jahrgang 1986) schreibt: “ Lebenslang sollte lebenslang bedeuten “!
Vollzug bis zum Ende im Blechsarg gewissermaßen.

Ich denke grade an Herrn N., er sitzt seit 44 Jahren im Gefängnis; das Landgericht Berlin verurteilte ihn in den 60érn wegen Doppelmordes. In den 80érn wurde er von Berlin–Tegel
Nach Bruchsal verlegt, wo er noch heute sitzt. Vor einigen Wochen bestätigte das Oberlandesgericht Karlsruhe, er sitze schon lange nicht mehr zwecks Abbüßens seiner Schuld, sondern rein präventiv. Zwar habe er abstrakt das Recht noch mal lebend auf freien Fuß zu gelangen, im Konkreten könne man dies jedoch nicht wagen, schließlich verstoße er laufend gegen die Hausordnung durch Haschischkonsum und regen Handel mit Tabak, Esswaren und ähnlichem. Im Konfliktfalle könne ein-weiteres-Tötungsdelikt nicht ausgeschlossen werden. Hm !? Daß er 44 Jahre -während der Haft-niemanden tötete zählt also weniger als das Tötungsdelikt, welches er mit Anfang 20 beging?!

44 Jahre ! Viele der Leserinnen und Leser dieser Zeilen dürften 1962 noch gar nicht gelebt haben. Höre ich die Frage: “ Aber was ist mit den beiden Toten“?
Gewiss, sie hatten sicher Familienangehörige die litten-leiden möglicherweise noch heute-zwei Menschen sind tot. Würde es sie wieder ins Leben zurück bringen, käme N. Nur im Sarg hier beim Tor hinaus ?

In der Kriminologischen Forschung ist anerkannt, daß Verurteilte ab dem achten, neunten, Haftjahr den Bezug zu den ihnen vorgeworfenen Taten verlieren. Der zeitliche Abstand, die Eintönigkeit des Gefängnislebens, die Routine bewirken nicht nur einen Prozess der Prisonisierung genannt wird (Verlust von grundlegenden sozialen Fähigkeiten; Unselbstständigkeit; uvm.) sondern auch diesen eben erwähnten schwindenden Bezug zum Anlass der Inhaftierung.

Rief ich nun: “Reisst die Gefängnismauern ein!“, ich vermute nur wenige würden mir folgen, also versuche ich es mit einem anderen Gedankengang: in der Viktimologie (die Lehre und Forschung betreffend Verbrechensopfer) ist es eine Binsenweisheit, daß die allerwenigsten Opfer auf Rache sinnen. Das alttestamentarische “Auge um Auge – Zahn um Zahn“ fordern in der Regel nicht etwa die Betroffenen Opfer, sondern (unbeteiligte) Dritte.
Strafvollzug ist außerdem teuer; wir können von ca. 100 Euro pro Hafttag und Gefangenen im Durchschnitt ausgehen, die indirekten Kosten noch gar nicht mit eingerechnet. Pro Jahr ergibt dies alleine für die BRD einen Betrag jenseits der Milliardengrenze.
Von den schädlichen Auswirkungen auf die Inhaftierten war schon die Rede.

Wo liegt also nun der Sinn und Zweck im Wegsperren beispielsweise eingangs erwähnten Sicherungsverwahrten (ein Einbrecher, keinen Personenschaden, ca. 20.000 DM Schaden, mittlerweile alleine 7 Jahre in der Sicherungsverwahrung), oder auch von Herrn N.?
Sühne für begangenes Unrecht ?
Schutz der Allgemeinheit–wie es etwas pathetisch in einem Paragrafen heißt?

Gefängnisse sind vielleicht ökonomisch sinnvoll für das Großindustriellen-Komplex, sie mögen auch einigen Menschen Arbeitsgelegenheiten als Bedienstete bieten, die ansonsten in der freien wirtschaft nicht zu Rande käme, aber für das Gros der Steuerzahler sind sie schlicht unökonomisch. Gefängnisse befriedigen das Straf-und Rachebedürfnis von in der Regel unbeteiligten Dritten, jedoch in den seltensten Fällen den Wunsch nach Ausgleich seitens der Opfer, also der wirklichen Betroffenen; denn diese werden nur in Ausnahmefällen von konkreten Rachewünschen geleitet. Vielmehr suchen diese nach Antworten auf das
“Warum ?“, nach Ersatz ihrer materiellen Schäden, nach Reue ...
Gefängnisse nehmen den Insassen Würde und Identität – man tut ihnen also, wenn auch mit anderen Mitteln, das an, was sie selbst zuvor getan haben (sollen). Und dies kann man schlicht als Rache bezeichnen; nur führt Rache – wie wohl jeder aus dem eigenen Alltag weiß – kaum zu einem friedlicheren miteinander.

Es gilt also neue Wege des Ausgleiches zu erkunden, Wege die nicht letztlich alle Seiten mehr Schaden bringen als Nutzen (den finanziellen Nutzen für Sicherheitsfirmen lasse ich hier beiseite).

Gegessen habe ich heute schon, ich werde nun schlafen gehen, so wie an den 3650 Abenden zuvor-und geht es nach der Justiz, werde ich auch die nächsten 2000, 3000 und mehr Tage verbringen mit ... kacken, fressen, schlafen ...


Thomas Meyer–Falk, c/o JVA – Z. 3117, Schönbornstrasse 32, D–76646 Bruchsal
Homepage : http://www.freedom-for-thomas.de




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last modified 23.11.2017 | webmaster