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Gewalt unter Gefangenen

Gewalt unter Gefangenen – über eine aktuelle Studie aus NRW

Vor wenigen Monaten ermordeten in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg Gefangene ihren Zellengenossen. In der Folge berichteten die Medien ausführlich über Gewalt im (deutschen) Strafvollzug. Ende Dezember 2006 stellte die Justizministerin von Nordrhein-Westfalen eine Studie mit dem Titel “Gewalt unter Gefangenen – Kernbefunde einer empirischen Studie im Strafvollzug des Landes NRW” vor.

Schon in der Einleitung des nur 25 Seiten umfassenden Papiers räumt der Autor der Studie, Wolfgang Wirth vom Kriminologischen Dienst des Landes NRW ein, man sei von der Anzahl der Gewaltvorkommnisse überrascht gewesen. Ursprünglich hätte man mit der Auswertung von etwa 300 – 350 Gefangenenakten für einen Zeitraum von Januar 2003 bis Juni 2006 gerechnet. Habe dann jedoch für diesen genannten Zeitraum fast 2500 Vorfälle (aus NRWs Haftanstalten) gemeldet bekommen, so dass man sich mit den für 2005 festgestellten Gewalttätigkeiten begnügt hätte.

Für 2005 seien 681 gemeldete Fälle von Gewalt Gefangene gegen Gefangene registriert und sodann ausgewertet worden. Bei knapp 80 % (exakt: 79,1 %) habe es sich dabei um Tätlichkeiten und Körperverletzungsdelikte gehandelt, im Übrigen um Delikte wie Bedrohung, Erpressung u.ä. Körperlich schwere Verletzungen seien in 9,3 % der Fälle zu beklagen gewesen; leichte Folgen, in denen keine behandlungsbedürftige körperliche Verletzung erkennbar gewesen sei, in 45,3 % der Delikte. Ebenfalls 45,3 % der Fälle habe mittelschwere Tatfolgen (z.B. Hämatome, Platzwunden, leichte Schnittwunden) nach sich gezogen.

Die Verteilung der Vorfälle auf Wochentage und Uhrzeit, so die Studie, habe keine besondere Konzentration von Gewalttaten auf Wochenenden oder z.B. Nachtstunden ergeben.

Gemeldet worden seien die meisten Delikte durch das Personal, nämlich in 77 % der Fälle. Die Studie erkennt hierin ein Problem, da Mitgefangene offenbar Angst hätten, Gewalttaten zu melden und empfiehlt die “Förderung der Anzeigebereitschaft bei Gefangenen”.

Hinsichtlich der “Täter” teilt der Autor des Papiers mit, dass fast zwei Drittel wegen früherer Gewaltdelikte verurteilt worden sei, und zieht hieraus den Schluss, dass die Gewaltneigung der Täter nicht im Vollzug “produziert” worden sei.

In seinem Resümee stellt Wirth fest, Gewalt unter Gefangenen sei etwas letztlich Unvermeidbares. Er fordert mehr Haftraumkapazitäten, härtere Sanktionen auf Gewaltdelikte und Ausbau von Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten.

Die oberste Dienstherrin von Herrn Wirth, nämlich Justizministerin Müller-Piepenkötter, nahm die Ergebnisse der Studie zum Anlass, in einer Presseerklärung vom 22.12.06 zu betonen, dass Gewalt – Zitat - “in erster Linie nicht in den Vollzugsanstalten (entstehe), sondern von aussen in die Gefängnisse hineingetragen” werde. Eine gewagte Interpretation und der augenscheinliche Versuch, von der Verantwortung der Justiz, bzw. des Staates abzulenken, als wäre es irrelevant, wo Gewalt geschieht und in welchem Kontext.

Die Studie ist, dies zum Schluss, öffentlich zugänglich. Für interessierte Gefangene empfiehlt sich, so sie in NRW inhaftiert sind, bei ihrer Anstaltsleitung die Einsichtnahme oder aber, dies gilt für alle Gefangenen, beim Justizministerium (Martin-Luther-Platz 40, 40212 Düsseldorf) die kostenfreie Übersendung zu beantragen. Letzteres ist nach dem Informationsfreiheitsgesetz von NRW möglich.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3117, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
http://www.freedom-for-thomas.de




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last modified 23.11.2017 | webmaster