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Bundestag beschließt nachträgliche Sicherheitsverwahrung

Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2004 unter anderen das bayrische Landgesetz über die "Unterbringung gefährlicher Rückfalltäter" für verfassungswidrig erklärte, da den Bundesländern in diesem Bereich die Gesetzgebung fehlt, entschied im Juni 2004 die SPD/GRÜNE-Koalition auf Bundesebene eine nachträgliche Sicherungsverwahrung (SV) einzuführen.



Daß die SV prinzipiell mit der deutschen Verfassung vereinbar sei, hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt (vgl. meinen Kommentar hierzu unter "zu den Entscheidungen des BVerfG bezüglich der Sicherungsverwahrung"). Bei der SV handelt es sich um eine von den Nationalsozialisten 1933 in das deutsche Strafrecht aufgenommen "Maßreglung der Besserung und Sicherung", die es der Justiz erlaubt, die betroffenen Gefangenen über den Zeitraum der verhängten Freiheitsstrafe hinaus in Haft zu halten - ggf. lebenslang. Nur nebenbei: das spanische Verfassungsgericht sah in einer der SV vergleichbaren Reglung in Spanien einen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot und erklärte die spanische Reglung für verfassungswidrig.



Vorraussetzung, so die Befürworter der SV hier in Deutschland, für die Verhängung der SV sei selbstverständlich, daß eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, daß der Gefangene schwere Straftaten nach der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe begehen werde. Während bislang die Sicherheitsverwahrung stets zusammen mit der Freiheitsstrafe verhängt werden mußte, soll es nun noch dem Wunsch der SPD und auch der GRÜNEN - zu Zeit der Opposition waren sie vehemente Gegner der SV, forderten deren Abschaffung -, nach dem von CDU/CSU sowieso, möglich sein, noch während Verbüßung der Haftstrafe die SV anzuordnen. Selbst dann, wenn seinerzeits das Tatgericht die Verhängung dieser Maßregel explizit abgelehnt hat, so der Gesetzesentwurf (Bundestag- Drucksache 15/2887) hat, soll deren nachträgliche Anordnung zulässig sein.



Sinnigerweise stimmte im Rechtsausschuss des Bundestages (Drucksache 15/3346, Seite 31-32), sowie hernach im Bundestag lediglich die FDP aus prinzipiellen Gründen gegen die Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung. Soweit die CDU/CSU gegen den Entwurf der Regierungskoalition stimmten, geschah dies lediglich deshalb, weil ihnen dieses nicht weit genug ging. So hätten die Konservativen gerne auch eine Verwahrung von Gefangenen, von denen Taten im Vermögensbereich (z.B. Betrug) zu erwarten wären. Der jetzt beschlossene S66 b Strafgesetzbuch sieht demgegenüber vor, daß die nachträgliche SV verhängt werden darf, wenn - Zitat - "nach einer Verurteilung wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder eines Verbrechens nach §§ 250, 251 (schwerer Raub; Raub mit Todesfolge, T11-f) auch in Verbindung mit den §§ 252/255 (räuberischer Diebstahl; räuberische Erpressung; J-1-F.) ...vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar (werden), die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen."



Dabei sei sodann eine "Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs" vorzunehmen. Hierzu sind dann zwei Gutachter in einer mündlichen Hauptverhandlung anzuhören.



Ganz abgesehen von dem Menschenbild, das hinter diesem gesamten Komplex Sicherungsverwahrung steht, und dessen faschistischer Herkunft (die DDR schaffte die SV nach 1949 ab, da sie "nationalsozialistischer Ungeist" atme), geben renommierte Gutachter frei zu, daß bis zu 60% der Verwahrten fälschlich als gefährlich eingestuft werden. Und auch das Verhalten der übrigen 40% kann realistischerweise niemals sicher prognostiziert werden.

Meteorologen können heute nicht einmal das Wetter für die nächste Woche oder den nächsten Monat exakt vorhersagen; wie sollen dann Gutachter angesichts der unzähligen Variablen menschlichen Verhaltens vorhersehen!?



In einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestag im Mai 2004 wurde festgestellt, es gäbe bundesweit gerade einmal nur drei oder vier Sachverständige, deren Qualität hinsichtlich der Erstellung von Prognosegutachten anerkannt sei. Und Dr. Kinzig vom Max-Planck-Institut für ausländisches Strafrecht aus Freiburg wies die Abgeordneten in dieser Anhörung darauf hin, daß es in keinen anderen Land des europäischen Rechtskreises eine ähnliche Lösung gebe oder eine Notwendigkeit dafür gesehen werde. Schily, Beckstein und Co. schreiten wacker und einsam mit ihrem Instrumentarium der nachträglichen SV voran.



Selbst (nur) "verbale - aggressive Angriffe auf Bedienstete der Justizvollzugsanstalt " (Drucksache 15/2887,S12) sollen künftig herhalten für eine eventuell lebenslange Verwahrung! Den Anstalten wird durch diesen § 66b StGB ein Züchtigungsinstrument an die Hand gegeben, mit welchem die Gefangenen eingeschüchtert werden können; denn welcher zu einer zeitigen Freiheitsstrafe Verurteilte möchte sich der Gefahr lebenslanger Verwahrung aussetzen. Und es ist nun mal so, daß im Vollzug nicht diejenigen, die sich beim Personal lieb Kind machen, auffallen, sondern jene die, sich nicht biegen lassen wollen.



1933 wurde von den Nazis im Reichstag die SV eingeführt. 2004 wurde sie von SPD/GRÜNEN ausgeweitet und fortgeführt.




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last modified 21.11.2017 | webmaster