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Sicherungsverwahrung 2003 – Analyse und persönliche Stellungnahme

Am 21. und 22. Oktober 2003 verhandelte das Bundesverfassungsgericht ( Homepage des BVerfG) über die in Insiderkreisen nur "SV" genannte Sicherungsverwahrung. Ich möchte in diesem Beitrag kurz erläutern, was die von den Nazis im 3. Reich eingeführte SV ist (A), wie der Alltag der SV aussieht (B), ob sie wirklich notwendig ist (C), um mit einem Ausblick (D) zu schließen.


A) Was ist SV?

1933 wurde die SV in das deutsche Strafrecht aufgenommen. Für gewöhnlich wird von einem Strafgericht für eine bestimmte Straftat eine Strafe, z.B. 5 Jahre Gefängnis verhängt; nun sollte es aber möglich sein, angeblich "unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher" auch nach Verbüßung der ihnen zugedachten Strafe verwahren zu können, hierzu wurde die SV geschaffen.

Nach 1949 wurde in der DDR die SV aus dem Gesetz getilgt, da sie "nationalsozialistischen Ungeist atme", in der BRD hatte man solche Bedenken nicht.

Während sich gerade die GRUENEN bis in die 90'er hinein engagiert für eine Abschaffung der SV einsetzten, war mit diesem Engagement umgehend Schluss, als sie an die Regierung kamen, heute verteidigen sie die SV als "notwendiges Instrument des Strafrechts".

Aber zurück zum Thema: Das Strafgericht entscheidet, ob ein Angeklagter als "gefährlich für die Allgemeinheit" anzusehen ist, ob er z.B. eine "Neigung" hat, Verbrechen zu begehen. Wird dies - auch seitens Sachverständiger - bejaht, kann und - mitunter auch - muss die SV (vgl. § 66 Strafgesetzbuch) verhängt werden.

Sodann verbüßt der Gefangene zuerst seine Freiheitsstrafe, bevor kurz vor Haftende die Strafvollstreckungskammer (ein Richterkollegium bestehend aus 3 RichterInnen am Landgericht der Vollzugsanstalt) darüber zu entscheiden hat, ob der Gefangene weiterhin als "gefährlich für die Allgemeinheit" anzusehen ist. Wird dies bejaht (dies ist der Regelfall), wird der Insasse in eine Abteilung für Sicherungsverwahrte (ebenfalls in einem Gefängnis höchster Sicherheitsstufe) verlegt. Alle 2 Jahre wird sodann überprüft, ob die Gefährlichkeit fortbesteht, ggf. wird er bis zu seinem Tode verwahrt. Zur Zeit sitzen ca. 300 Verwahrte in der SV (alles Männer, weshalb in diesem Beitrag stets die männliche Form gewählt wurde. Frauen trifft die SV in weniger als 1 % der Fälle).


B) Wie sieht der Alltag aus?

Der Verwahrte unterliegt der Pflicht zur Zwangsarbeit, ihm steht - im Falle der Arbeitslosigkeit - ein Taschengeld von ca. 50 Euro im Monat zu (einem arbeitslosen Strafgefangenen nur 30 Euro), er soll Privatkleidung tragen dürfen; in Baden-Württemberg darf er zusätzlich von privatem Geld für 20 Euro Kosmetika erwerben. Und er kann statt 3 Freßpakete im Jahr (diese stehen Strafgefangenen zu) 7 Freßpakete erhalten - damit sind dann aber auch die "Vergünstigungen" im Vergleich zur Strafhaft aufgezählt.

Der Alltag unterscheidet sich folglich nicht von dem eines Strafgefangenen: Arbeit, Freizeit, Nachtruhe! Tag für Tag, Jahr für Jahr, ohne absehbares Ende. Hie und da vielleicht Besuch von draußen - bei der Mehrzahl der Verwahrten gehen die Verbindungen jedoch im Laufe der Jahre verloren! Ausgang oder Urlaub werden fast nie gewährt.


C) Ist die SV notwendig?

MancheR wird sich fragen, wie es denn um die Opfer steht, schließlich soll doch die SV potentielle Verbrechensopfer schützen, zumindest in der Theorie.
Dazu erst einmal eine Zahl von Prof. LEYGRAF (ein renommierter Gerichtssachverständiger): Er stellt fest, dass für einen tatsächlich gefährdeten Gefangenen, circa 10 fälschlich als "gefährlich" diagnostizierte Menschen verwahrt werden. Denn Dreh- und Angelpunkt der Verwahrung ist das Etikett: "Gefährlichkeit" und bei Prognosen in diesem Bereich verhält es sich wie mit Wetterprognosen: Sie können zutreffen - oder auch nicht. In der eingangs erwähnten Verhandlung vor dem Verfassungsgericht sagte am 21.10.03 ein Gutachter aus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein "Gefährlichkeitsgutachten" zuträfe, nur wenig über der Zufallswahrscheinlichkeit liege.

Alleine wenn man dies bedenkt, kann man schlechterdings nicht die SV als notwendig bezeichnen - zumindest soweit man tatsächlich den Schutz potentieller Opfer im Auge hat.

Politisch jedoch ist die SV notwendig! Sie soll der Bevölkerung vorgaukeln, dass hart durchgegriffen wird (es sei auf Schröders Satz von 2001 hingewiesen: "Wegschließen - für immer!"). Als strategisches Instrument, Ängste in der Bevölkerung zu schüren, anzustacheln und dann wieder zu beruhigen, ist die SV ebenfalls hervorragend geeignet.

Es mag im Einzelfall durchaus Gefangene geben, die besonders "rückfallgefährdet" sind, jedoch kann dieser Gefahr durch eine engmaschige Begleitung und Betreuung effektiver (und auch kostengünstiger, denn ein Hafttag schlägt mit ca. 100 Euro zu Buche) begegnet werden, als durch die Verwahrung. Zumal, bedingt durch die Hoffnungslosigkeit, der die Insassen ausgesetzt werden, die Wahrscheinlichkeit z.B. von Geiselnahmen wächst. Kommt es dann zu solch einer Aktion, wird diese als Beleg für die Gefährlichkeit angesehen und verdrängt, dass es nicht dazu gekommen wäre, hätte eine realistische Entlassungschance bestanden (es sei auch an eine Selbstmordserie in den 80'ern in der SV-Abteilung der Haftanstalt Freiburg erinnert).


D) Ausblick

Eine Abschaffung der SV ist nicht zu erwarten, ganz im Gegenteil! Roland Koch (Ministerpräsident von Hessen) läßt an Plänen arbeiten, wonach längst in Freiheit entlassene Gefangene wieder in Haft genommen werden können, ohne dass sie erneut straffällig geworden wären. Der Schritt ist nicht weit dahin, Menschen in SV zu stecken, die weder in der Vergangenheit straffällig wurden, noch aktuell eine Tat begangen haben, sondern bei denen lediglich vermutet wird, dass sie eine solche möglicherweise begehen könnten. In kurzfristigem Rahmen existiert eine solche Regelung heute schon, bekannt unter dem Begriff "Unterbindungsgewahrsam"; gerade Linke können ein Lied davon singen. Als potentielle "StörerInnen" werden sie vor Demonstrationen in eine Polizeizelle gesteckt und erst nach Veranstaltungsende wieder freigelassen.

Kürzlich machte der Ex-General und heutige Landesinnenminister SCHÖNBOHM von sich reden, als er verlangte, chronischen Schulschwänzern elektronische Fußfesseln anzulegen, um sie auf diese Weise überwachen zu können. Dieser Gedanke erscheint auf den ersten Blick als Ausgeburt eines pathologischen Sicherheitsfanatikers, aber er zeigt auf, was in 10, 15, 20 Jahren Realität sein wird. Jede und jeder, der ein abweichendes Verhalten zeigt, wird unter einen Generalverdacht gestellt, um so möglichst viele BürgerInnen möglichst lückenlos überwachen zu können.

Wer folglich meint, die SV beträfe doch nur eine kleine Zahl "hochgefährlicher Verbrecher", der geht fehl!




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