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Geht es Gefangenen im Knast zu gut?

In der Boulevard-Presse wird immer mal wieder berichtet, den Gefangenen in deutschen Haftanstalten ginge es viel zu gut, sie lebten in einer Art Hotelvollzug. Und auch auf die Gefahr hin, missverstanden zu werden, so stelle ich als Gefangener der ich zur Zeit bin, fest: Ja, es geht den InsassInnen zu gut!

Ich möchte mich hier ausschließlich mit dem deutschen Strafvollzug, wie er heute vorzufinden ist, beschäftigen. Denn schon im innereuropäischen und erst recht im aussereuropäischen "Ausland" sind die Vollzugsbedingungen vielfach völlig anders.

Gerade die materielle Ausstattung ist im Gefängnis vielfach derart üppig, dass sie zur Vereinzelung und damit zur Entsolidarisierung führt. Was möchte ich damit sagen? Bis 1998 war nach der damaligen Gesetzeslage die Ausstattung der Zellen mit eigenen Fernsehgeräten eher die Ausnahme, denn die Regel. Mit der Änderung des § 69 Strafvollzugsgesetz haben nun - nahezu - alle Gefangenen Anspruch auf ein privates Fernsehgerät und eine Vielzahl von Vollzugsanstalten (sogar in Bayern) verlegte Kabelanschlüsse, so dass über 30 TV-Programme empfangbar sind. Die erste und unmittelbarste Folge war eine Reduzierung der TeilnehmerInnenzahlen am täglichen Spaziergang in den Gefängnishöfen und in den Freizeitgruppen (Sport-, Gespräch-, Spielgruppen). Das heißt, der Prozess der Vereinzelung, der auch in der "freien" Gesellschaft ausserhalb der Gefängnismauern zu beobachten ist, beschleunigte sich.

Als schliesslich Spielekonsolen (X-Box, Playstation I + II) genehmigt wurden und sich rasend schnell verbreiteten, forcierte dies die Entsolidarisierung. Für jene Damen und Herren der Haftanstalten, die sich um Sicherheit und Ordnung kümmern, brachte dies paradiesische Zustände mit sich, denn in ihren Zellen spielende oder fernsehende InsassInnen sind relativ leicht zu kontrollieren - und zu steuern. Es gab ernstliche Suiziddrohungen von Gefangenen, als ihnen die Wegnahme ihrer geliebten Spielzeuge angedroht wurde. Erwünschtes Verhalten kann so relativ einfach seitens der Justiz durchgesetzt werden.

Nun mag man der Meinung sein, dass dies doch ein Zeichen dafür sein, dass es den Gefangenen eher schlecht als gut ginge; jedoch ist dies die Folge der üppigen materiellen Ausstattung und Versorgung! Ein voller Magen und ein durch Spiele abgelenkter Geist revoltiert nicht gerne ("panem et circensis" lautete bei den alten Römern eine Maxime der Herrschenden. Man gebe dem Volk "Brot und Spiele" und schon ist es zufrieden).

Anstatt für eine Angleichung der Löhne für die Zwangsarbeit zu kämpfen (heute erhält ein arbeitender Insasse ca. 150 bis 200 Euro pro Monat "Verdienst"), oder für bessere und intensivere Besuchsbedingungen (laut Strafvollzugsgesetz beträgt das Minimum 1 Stunde pro Monat und in vielen Anstalten ist dies auch zugleich das Maximum), für eine Öffnung des Vollzuges nach aussen, oder vieles andere mehr, setzen sich die Gefangenen vor die Mattscheibe. Die Parallele zum Leben "draussen" ist unübersehbar: Trotz geradezu revisionistischer und menschenverachtender Kürzungspläne der deutschen Regierung im Sozialbereich, geplant und ausgeführt auf dem Rücken von Menschen, die schon heute an der Grenze der (relativen) Armut leben, ist der Protest eher schwach ausgeprägt.

Ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, dass es nicht um einen "härteren" Strafvollzug um seiner selbstwillen geht, sondern darum, dass ein weniger an materiellen Gütern am Ende ein mehr an Selbstbestimmung und letztlich Freiheit bringen könnte.




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last modified 23.11.2017 | webmaster