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Laue Sommertage im Juni

Was ein Sommer, wieder Temperaturen jenseits der 30 Grad und das Leben in der Freiburger Sicherungsverwahrung (SV) geht seinen gewohnten Gang. Endlich werden die Hofzeiten ausgeweitet (1.), in Sachen Videotext soll sich auch was tun (2.). Die Unsitte der Brückentage nimmt kein Ende (3.), außerdem hatte ich meine zweite von vier Ausführungen im laufenden Jahr (4.). Und zum schönen Schluss noch was zum Toilettenpapier-Kleinkrieg (5.)


1. Hofzeiten ausgeweitet

Eigentlich sollte man in der SV außerhalb der Nachtzeit jederzeit in den Knasthof gehen dürfen. Allerdings sieht das Gesetz Einschränkungen bei Gefahren für die Anstaltssicherheit oder im Falle schwerwiegender Gründe, die die Ordnung gefährden, vor. In der Praxis in Freiburg bedeutete das bislang, dass zum Beispiel an Wochenenden nur 3 ½ Stunden Hofzugang gewährt wurde, egal wie schön das Wetter war. Warum? Weil es mit den personellen Ressourcen der Anstalt nicht leistbar gewesen sein soll, den Insassen mehr Hofzugang zu ermöglichen, so die Verteidigung der Anstaltsleitung. Denn stets hatten Beamte die Insassen in den Hof zu bringen und von dort auch abzuholen.

Nachdem ein hochkomplexes Schleusensystem seit einigen Wochen ermöglicht, selbst in den Hof zu gehen (das System nutzt pin-Codes, wiegt die Insassen, Deckenscanner sind im Einsatz, sowie ein Handvenen-Scanner) wurden zum 06.06.2019 die Hofzeiten an Wochenenden/Brücken- und Feiertagen auf 8 ½ Stunden ausgeweitet. Immer noch nicht ideal, aber ein Anfang!

Spannenderweise wurde für Werktage die Hofgangsmöglichkeit um 10 Minuten gekürzt, ob das rechtmäßig ist, darüber wird das Landgericht zu entscheiden haben. Werktags kann, wer mag, bis zu 10 ¾ Stunden das Hofareal nutzen.


2. Videotext – wo bist Du?

Nutzt jemand der das hier liest, den Videotext? Da wir hier in der SV keinerlei Zugang zu Internet erhalten, war es ganz praktisch, über die TV-Sender deren Videotextangebote zu nutzen, bis das die JVA verbot und das Signal einfach blockierte. Angeblich sollte so verhindert werden, dass via SMS-Chats Nachrichten ausgetauscht werden (Handybesitz ist in Gefängnissen verboten, aber wer dann ein illegal beschafftes Handy besitzt, der bräuchte eigentlich keinen SMS-Chat mehr). Seit 2018 läuft gegen die Praxis der Haftanstalt eine Klage bei Gericht. Auf meine Anregung hin, zumindest die Videotextseiten der öffentlich-rechtlichen Sender frei zu schalten, gab Sozialoberinspektor G., er ist Vollzugsleiter in der SV-Anstalt, zu Protokoll, dies sei personell nicht leistbar. Man müsse ja ansonsten permanent die Videotextseiten überwachen, ob nicht doch SMS-Chats eingeführt worden seien.

Interessanterweise scheinen seine Dienstvorgesetzten anderer Ansicht zu sein, denn die Insassenvertretung (IV) der Anstalt hatte per Aushang bekannt gegeben, der für die TV-Anlage zuständige Bedienstete sei von der Anstaltsleitung angewiesen worden, die Einspeisung der entsprechenden Videotextangebote zu veranlassen. Auch die IV hatte nachdrücklich für die Wiedereinführung des Videotextes gekämpft.


3. Die Unsitte der Brückentage

In der Freiburger Haftanstalt fällt auf, dass ziemlich regelmäßig Brückentage eingesetzt werden. Nun kennt Brückentage jeder auch aus anderen beruflichen Zusammenhängen. Aber hier scheint es epidemische Ausmaße anzunehmen. Schon in den ersten Monaten des Jahres gab es diverse Brückentag, nun folgte der 24. Mai, danach der 31. Mai. Eigentlich hätte mich eine gute Freundin am 28. Juni besuchen sollen, was abschlägig beschieden wurde, denn auch an diesem Tag, man ahnt es: Ein Brückentag. Sowie am 5. Juli. Und so weiter.

Aber weshalb gibt es für Verwahrte an Brückentagen keine Besuche? Weil an diesen Tagen der Dienstbetrieb auf Sparflamme gefahren wird. Meist sind alle Betriebe geschlossen (Ausnahmen gibt es, wenn Liefertermine einzuhalten sind, dann arbeiten einige wenige Betriebe dennoch), die Zellen werden nicht um 6:25 Uhr, sondern erst nach 8 Uhr geöffnet, die Hofzeiten sind reduziert im Vergleich zu den regulären Werktagen. Außerdem hat die Besuchsabteilung geschlossen!

Erst ab dem 6. Juni wurden zudem die Hofzeiten an diesen Tagen ausgeweitet (siehe oben), bis dato sprachen nämlich viele Insassen von staatlich verordneter Kleingruppenisolation. Denn bis auf die 3 ½ Stunden Hofzeit waren sie auf ihren engen Stationen eingesperrt und blieben im Grunde weitestgehend sich selbst überlassen.

Der Anstaltsleiter verteidigt die Brückentage damit, dass die uniformierten Bediensteten „über 50.000 Überstunden“ angesammelt hätten, „im Schnitt weit über 200 Überstunden“ pro Beschäftigtem, so dass die Brückentage notwendig seien, um auf diese Weise „eine weitere Anhäufung von Überstunden“ zu verhindern, so am 28.03.2019 der Leitende Regierungsdirektor Völkel in einem Schriftsatz an das Landgericht Freiburg. Ein zeitnaher oder auch nur mittelfristiger Abbau der Überstunden sei „nicht realistisch“.

Soweit die Sicht der Behördenleitung, dass die der Insassen davon abweicht, dürfte verständlich sein, schließlich sind es deren Zellen, die verschlossen bleiben (in Strafhaft/U-Haft), sie sind es, die herbe Einkommensverluste erleiden, weil pro Brückentag den Gefangenen rund 12 ¤ Arbeitslohn (in der SV knapp 20 ¤) entgehen! Lohnfortzahlung ist hinter Gittern ein Fremdwort.

Brückentage bedeuten also Verhinderung von Besuchen, weniger Hofzeit, kompletter Lohnausfall, und für jene, die sich all den therapeutischen Angeboten unterziehen, oftmals auch noch Unterbrechung der Behandlung.


4. Spaziergang im Juni

Vier mal im Jahr dürfen Sicherungsverwahrte für ein paar Stunden, unter scharfer Bewachung von Gefängnispersonal, die Anstalt verlassen. Am 5. Juni war es soweit, um 7.30 Uhr ging es im vergitterten Knastbus und den beiden uniformierten Beamten, Hauptsekretär W. und Obersekretär R. los in Richtung Süden. Erst durch den morgendlichen Berufsverkehr und dann über die Autobahn. Nach rund 1 ¼ Stunden Autofahrt waren wir in Schliengen angekommen, ich konnte Frau und Herrn O. besuchen. Begrüßt wurden wir von einem laut bellenden 10 Jahre alten Hund, der es dann sehr genoss, ausgiebig gekrault zu werden. Ein Spaziergang in die Weinberge und ein wirklich wunderbarer Blick in die Umgebung an einem Sommertag mit über 30 Grad rundeten den Besuch ab. Die beiden Bediensteten hielten diskreten Abstand beim Spaziergang, jedoch sind sie immer angehalten, den Insassen „unmittelbar und gegenwärtig“ zu bewachen und zu begleiten.

Bevor es dann zurück in die JVA ging, konnte ich noch in dem kleinen türkischen Lebensmittelgeschäft Anadolu, nur einen Steinwurf vom Gefängnistor entfernt, ein bisschen frisches Gemüse und Antipasti einkaufen gehen.

Begleitet von Herrn W. und Herrn R.!? Also von zwei Bediensteten? Vielleicht ist es jemandem aufgefallen, der meine Texte verfolgt. Es waren nur noch zwei Beamte mit dabei. Zuvor mussten immer drei Bedienstete die Bewachung vornehmen, denn die Anstaltsleitung befürchtete nach eigenen Angaben Befreiungs- oder Störversuche aus einem „anonymen nicht einschätzbaren Unterstützerumfeld“ heraus. Augenscheinlich scheint die Anstalt entweder eine neue Gefahreneinschätzung vorgenommen zu haben – oder es setzte sich, mit zeitlicher Verspätung, etwas mehr Realitätssinn durch.


5. Der Toilettenpapier-Kleinkrieg

Immer wieder entwickeln sich skurrile Dynamiken im Haftalltag. Auf einem Schrank im Freizeitraum von Station 2 standen zuvor Pflanzentöpfe, die nun im Sommer in den Hof gestellt wurden. Also wurde der frei gewordene Platz genutzt, um das WC-Papier der Station auf besagtem Schrank zu lagern. Der erste Akt!

Daran störte sich erstmal niemand, bis dann einige wenige Insassen und auch die Stationspsychologin Frau W. meinten, das sehe ja nun nicht sooo schön aus. Das Klopapier müsse weg. Sofort! Das sei ein Freizeitraum, der soll schön heimelig und wohnlich aussehen, damit sei absolut unvereinbar, Klopapier auf dem Schrank zu deponieren, das verletze die Ästhetik des Raums. Also wurden die Packungen von der SOKO „Scheißhauspapier“ mit vereinten Kräften in eine leere Zelle getragen. Des Dramas zweiter Akt.

Schon am nächsten Tag wurden sie aus jener Zelle wieder zurück in den Freizeitraum geschleppt, denn die meisten Bewohner störten sich nicht an dem Klopapier auf dem Schrank. Dann aber mischte sich ein uniformierter Beamter ein. Also so gehe das nicht, ihn störe das Klopapier jetzt auch. Und schon wurde es fortgetragen in die leere Zelle. Soweit Akt drei und vier.

Neue Woche, neues Klopapierglück! Und schwupp lagen die Packungen wie von Geisterhand dorthin befördert, erneut auf nämlichen Schrank. Oh, oh … das stieß dann aber auf Proteste! Wer macht das? Was soll das?? Unverschämtheit!!
Erneut trug folglich die SOKO die Packungen weg. Im folgenden Akt wurden sie ein weiteres Mal auf dem Schrank deponiert, diesmal machte sich sogar jemand die Mühe, die Rollen auszupacken und einzeln auf dem Schrank zu stapeln!

Nur um dann am 8. Juni, dem vorletzten Akt, erneut verschleppt zu werden. Laut des stellvertretenden Stationsleiters, Herrn Obersekretär T. habe er persönlich am Vortag mit dem Stationsleiter, Herrn Hauptsekretär L. telefonische Rücksprache gehalten, freilich habe er nicht nur wegen des Klopapiers mit dem Stationsleiter telefoniert, ergänzte T. Das Klopapier dürfe jedenfalls nicht auf eben diesem Schrank lagern, es müsse da weg! Wie dem auch sei, nun lagerte das übrige WC-Papier verpackt in einer grünen Kiste auf einem anderen Schrank im Freizeitraum und wartete dort auf seinen Einsatz.

Im letzten Akt des Dramas baute ein Verwahrter, dem etwas langweilig war und der etwas zur ästhetischen Gestaltung des Raumes beitragen wollte, aus besagten Klorollen eine schmucke Pyramide auf dem Esstisch des Freizeitraums, inklusiv einer Flagge auf der Spitze. Dies freilich versetzte einen anderen in Rage, der zügigen Schritts ins Beamtenbüro eilte, um dort Meldung zu machen ob dieses skandalösen Vorganges. Am Ende wurden die Rollen weggeräumt und lagern nun in jenem Schrank, in welchem normalerweise das Essgeschirr der Station eingeräumt war – bis dieses auf unbestimmte Zeit in einem ganz anderen Schrank weggeschlossen wurde. Aber das wäre eine andere Geschichte …

Ob es allerdings nun wirklich der allerletzte, der finale Akt in Sachen SOKO „Scheißhauspapier“ gewesen sein sollte, das wird uns die Zukunft weisen.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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last modified 03.07.2019 | webmaster