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Interview zum 18.03. - eine eigene Welt - erschienen im ND

Eine eigene Welt

Zu Besuch in der baden-württembergischen JVA Bruchsal bei dem Gefangenen Thomas Meyer-Falk

Thomas Meyer-Falk, 39 Jahre alt, klagt auf Offenlegung der Rechnungen zum Besuch des US-Präsidenten Georg W. Bush in Angela Merkels vorpommerschen Wahlkreis 2006. Zugang zu solchen Dokumenten gewährt das Informationsfreiheitsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern allen Bürgern, auch Gefangenen. Meyer-Falk sitzt seit 1996 wegen Bankraubs mit Geiselnahme im Gefängnis. Nach Ende seiner Freiheitsstrafe wird er 2013 in Sicherungsverwahrung verlegt, d.h. eine Entlassung ist derzeit unabsehbar. Niels Seibert besuchte ihn in der JVA Bruchsal und sprach mit ihm über seine Klage und das Gefängnis.


Was für ein bombastischer Klotz. Ein vierflügeliger Backsteinbau, an ein Panoptikum erinnernd,umgeben von einer begehbaren Sandsteinmauer und acht Wehrtürmen mit ziegelroten Zinnen. Im Mauergang patrouillieren Vollzugsbeamte mit Maschinenpistolen. Das gesamte Gelände ist nochmals von einem Metallzaun mit NATO-Stacheldraht bzw. einer grauen, stockfleckigen Betonmauer eingegrenzt. Das festungsähnliche Bauwerk steht zwischen Schloss und Krankenhaus in der Bruchsaler Innenstadt. Der Anblick vermittelt schon von außen: Hier wäre es schöner ohne das Gefängnis.


ND: Thomas Meyer-Falk, wäre die Welt schöner ohne Knäste?
Meyer-Falk: Ja, selbstverständlich. In einer Gesellschaft, in der Menschen selbstbestimmt und eigenverantwortlich leben, selbstreflektiert handeln, sich ihrer Schwächen bewusst werden und nach Lösungen suchen können, sind Gefängnisse überflüssig. Die Idee des Anarchismus geht davon aus, dass die Menschen dazu in der Lage sind.

ND: Jetzt leben wir aber noch in unschönen kapitalistischen Verhältnissen.
Meyer-Falk: In der heutigen Gesellschaftsform haben Gefängnisse einen Sinn; einen geringeren als in Amerika, wo aktiennotierte Firmen Gefängnisse betreiben. So weit sind wir hier noch nicht. In Deutschland gibt es Public Private Partnership: In Offenburg und Hünfeld ist der Bau bzw. der Betrieb der Gefängnisse teilweise privatisiert: die Küche, der Sozialdienst und der ärztliche Dienst. In manchen Gegenden, beispielsweise in Burg, Sachsen-Anhalt, sind Gefängnisse einer der größten Arbeitgeber im Ort. Sie bieten Arbeit und Auskommen für mehrere hundert Menschen. Das ist der ökonomische Faktor. Und es gibt den psychologischen Faktor für die Gesellschaft, die so ihre Probleme einfach auslagern kann.


Etwa 30 Schritte sind es vom Eingang der JVA Bruchsal bis zu den Besuchszellen. Auf diesem Weg gehe ich durch insgesamt neun Sicherheitstüren ohne Türgriffe und eine Personenkontrolle wie am Flughafen mit Durchgangsdetektor. Ich muss sämtliche mitgeführten Gegenstände – sogar die Armbanduhr – in einem Schließfach hinterlegen. Wenn ich schon mal da sein werde, hatte ich den Anstaltsleiter telefonisch gefragt, ob ich dann auch eine Zelle sehen könne? Ohne lange nachzudenken verneinte er: Die JVA sei voll belegt.


ND: Wie muss ich mir, Herr Meyer-Falk, eine Zelle vorstellen?
Meyer-Falk: Die Zellen in Bruchsal sind zirka acht Quadratmeter groß, vielleicht 2,20 Meter breit. Die Deckenhöhe ist 4,50 Meter. Das Fenster ist in etwa zwei Meter Höhe angebracht. Wenn man also hinausgucken will, muss man einen Stuhl an die Wand stellen und draufsteigen. Man hat ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl, ein Regal.

ND: Sind diese Gegenstände am Boden festgeschraubt?
Meyer-Falk: In den neu renovierten Zellen wird mittlerweile alles fixiert, da ist bis auf den Stuhl nichts mehr beweglich. Die Schränke haben heute keine Rückwand mehr und stehen 10 cm von der Wand entfernt, damit Beamte sofort entdecken können, wenn Löcher in die Wand gegraben werden zu den alten Heizschächten, in denen im 19. Jahrhundert die Heißluft von unten nach oben zog. Die Hohlräume wurden im Laufe der Jahrzehnte von vielen Gefangenen als Versteck genutzt, vor allem für Most.

In der Zellenecke haben wir die WC-Schüssel und ein Waschbecken, abgetrennt durch einen Vorhang. Die Wasserdampfheizung in meiner Zelle hat kein Thermostatventil. Sie geht nur entweder an oder aus. Sie wird zentral geregelt. Und abends, ab 7 Uhr ist keine Heizung mehr an und dann wird es kalt in der Zelle.


Das Männerzuchthaus Bruchsal wurde im Oktober 1848 eröffnet. Die ersten Insassen waren politische Häftlinge: Aufständische der Badischen Revolution. Auch Christian Klar, Gefangener aus der RAF, saß hier bis zu seiner Entlassung 2008. Thomas Meyer-Falk wurde wegen eines Bankraubs verurteilt, mit dessen Beute Geld für linke Projekte organisiert werden sollte.


ND: Verstehen Sie sich als politischer Gefangener?
Meyer-Falk: Ich hatte ja eine politische Absicht und Vorstellung, was ich mit dem zu erbeutenden Geld gerne gemacht hätte. Aber ich würde mich nicht als politischen Gefangenen sehen, weil ich mit der Kategorie nicht so viel anfangen kann. Ich halte schon die Differenzierung für relativ problematisch, weil dadurch Hierarchien entstehen. Vor zehn Jahren hätte ich die Frage vielleicht noch anders beantwortet. Aber wenn man mit den Schicksalen der Leute hier direkt konfrontiert ist, denkt man anders: dass der Einbrecher in der Nebenzelle die Freiheit genauso verdient hätte wie ich.

ND: Ich finde immer auch wichtig, warum ein Mensch im Knast ist und wie er sich dort verhält. Aber ich gebe zu: Der Begriff des politischen Gefangenen ist problematisch, weil er Definitionssache und abhängig von Interessen und Zielen ist. Sie setzen sich für Ihre Rechte und die anderer Gefangener ein. Auch deshalb nehme ich Sie als einen kämpfenden Gefangenen wahr. Können Sie mit dieser Bezeichnung mehr anfangen?
Meyer-Falk: Ja, selbstverständlich, oder anarchistischer Gefangener oder Red-Skin, das schon eher.


Auf aushängenden DIN-A4-Zetteln wird in einem antiquierten Behördendeutsch die »Abwicklung des Toilettengangs« bei Besuchen erklärt. So ein Knast ist eine eigene Welt. Eine konservative Welt. Viele gesellschaftliche Entwicklungen und Fortschritte dringen von draußen nicht oder erst um Jahre verspätet durch die Gefängnismauern.


ND: Wie kann man unter diesen unfreien Verhältnissen zu einem freien Menschen werden?
Meyer-Falk: Gefängnisse in unserer Gesellschaft sind nicht dazu da, Menschen zu vermitteln, selbstbewusste, selbstständig denkende, selbstständig handelnde Wesen zu werden. In einem Zeitschriftenartikel wurde einmal ein Gefängnis mit einem Bienenstock verglichen: Es gibt die Königin, den Anstaltsleiter, und es gibt die Arbeitsbienen, die Gefangenen. Es geht tatsächlich darum, die Gefangenen zu fleißigen Arbeitsbienen zu drillen. Das heißt, morgens regelmäßig zur Arbeit gehen und den Rest des Tages den Mund halten. Damit das so läuft, wird mit Drohungen und Repressalien gearbeitet.

An den Bedürfnissen der Menschen orientiert man sich nicht. Das kann man hier mitunter besonders deutlich beobachten, wenn Gefangene plötzlich anfangen selbstständig ihre Angelegenheiten zu regeln, wenn sie beispielsweise ihre Schuldenprobleme einfach selber in die Hand nehmen ohne sich vorher mit Juristen der Anstalt, mit Sozialdienst oder psychologischem Dienst kurzgeschlossen zu haben. Dem begegnet die Justiz eher skeptisch. Anstatt die Ressource des Gefangenen, die er selbstständig nutzt, zu loben und zu fördern, wird mit Unwillen und mit Misstrauen reagiert. Das ist meine Erfahrung – wie überhaupt hier primär auf die Defizite der Leute geachtet wird, anstatt auf das vorhandene Potenzial.


Grundsätzlich werden solche Besuche nicht genehmigt, hatte mir der Beamte aus dem baden-württembergischen Justizministerium fernmündlich erklärt, bei dem ich den Besuch beantragen musste. Aufenthalte von Journalisten »bringen den Gefängnisalltag durcheinander«. Dokumentationen und Reportagen über einzelne Gefangene seien den Zwecken des Strafvollzugs, der Resozialisierung und Wiedereingliederung sowie der Aufarbeitung der Straftat, abträglich. Es könne sogar sein, dass die Inhaftierten ihre Verurteilung in Frage stellen. Aber der Beamte werde bei »dem Meyer-Falk« eine Ausnahme machen wegen dessen verwaltungsgerichtlicher Klage auf Offenlegung der Rechnungen von Angela Merkels Empfang für Georg W. Bush im Jahr 2006.


ND: Wie teuer war Merkels Grillparty für den US-Präsidenten ?
Meyer-Falk: Die Zahlen schwanken. Auf eine parlamentarische Anfrage hin hat die Landesregierung eine Summe von 8,7 Millionen Euro genannt.

ND: Haben Sie spannende Details aus den Akten erfahren?
Meyer-Falk: Ich habe bis heute noch keine Unterlagen gesehen. Das Verwaltungsgericht Schwerin hat zwar die Offenlegung der Endsummen der jeweiligen Rechnungen angeordnet, aber das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Innenministerium lehnt es deshalb ab, die Unterlagen vorzulegen, zu deren Offenlegung es verpflichtet wurde. Wann das Oberverwaltungsgericht in Greifwald entscheiden wird, ist noch offen.


In der sterilen Besuchszelle sind ein kleiner quadratischer Tisch und vier Schalenstühle in braunem Farbton fest im Boden verankert. In meinem Rücken eine breite Spiegelglasscheibe in der Wand. Dahinter sitzen sie, die – wie vom Anstaltsleiter angekündigt – den Besuch »lediglich optisch überwachen«. Als ich mich mit Thomas Meyer-Falk schon eine ganze Weile unterhalten habe, klingelt es plötzlich. Ich schaue mich um.


ND: Was klingelt denn da?
Meyer-Falk: In der Nebenzelle hinter dem Spiegel läutet das Telefon.

ND: Aber – wenn wir das Klingeln und das Telefongespräch so deutlich hören, dann hören die auch jedes Wort unseres Gesprächs.
Meyer-Falk: Ja, natürlich. Wundert Sie das?


Wir wechseln noch ein paar Worte, dann ist die Besuchszeit schon vorüber und alles geht ganz schnell. Im Nu stehe ich am Ausgang, das große Tor öffnet sich, Tageslicht dringt herein. Ich kann hinausgehen.

komplettes Interview mit Bildern unter:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/193498.eine-eigene-welt.html




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last modified 23.11.2017 | webmaster