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Auslieferung – auch an Folterstaaten! Was bedeutet dies für die Linke?

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied am 24. Juni dieses Jahres (vgl. Az: 2 BvR 685/03; der Text kann über die Homepage des BVerfG eingesehen werden), dass Personen auch in Folterstaaten ausgeliefert werden dürfen, bzw. in Staaten, in denen nach „hiesigen Maßstäben“ menschenunwürdige Zustände in den Gefängnissen herrschen. Diese Entscheidung soll im Folgenden kurz dargestellt und in Beziehung gesetzt werden zu zwei Rahmenbeschlüssen des Rats der Europäischen Union (EU), welche die vereinfachte Auslieferung von Beschuldigten und/oder Gefangenen in andere EU-Staaten, bzw. in die USA regeln, d.h. welche Folgen gerade für politische AktivistInnen in Deutschland aufgrund des Zusammenspiels dieser Justizakte zu besorgen sind.


A.) BVerfG vom 24. Juni 2003

Der indische Staat begehrte die Auslieferung eines mutmaßlichen Betrügers von Deutschland, da dieser eine Bank um circa zwei Millionen Euro betrogen habe. Nachdem das Oberlandesgericht die Auslieferung als zulässig erklärte, erhob der Gefangene Verfassungsbeschwerde, welches der zweite Senat des BVerfG nicht zur Entscheidung annahm. Das BVerfG vertritt in seiner Mehrheit die Auffassung, dass zwar Folterungen in Indien weit verbreitet sind, Folter ein häufig von der Polizei angewandtes Vernehmungsmittel sei, was auch amnesty international sowie das Außenministerium bestätigen würden. Es sei jedoch nicht ersichtlich, dass gerade dem Beschwerdeführer konkrete Folter und Misshandlung drohe. Vielmehr habe der indische Staat eine Kampagne zur „Bewusstseinserhöhung unter seinen Sicherheitskräften“ gestartet und missbillige Folter. Außerdem bestehe ein Auslieferungsvertrag zwischen Indien und der BRD, und auch wenn dieser noch ratifiziert worden sei, so bestätige doch alleine dessen Existenz, dass Indien verpflichtet sei die menschenunwürdige Behandlung von ausgelieferten Personen zu verhindern.
Dass dem Beschwerdeführer eine lebenslange Freiheitsstrafe für den möglichen Betrug drohe, sei auch kein geeignetes Argument, so das BVerfG, um seiner Verfassungsbeschwerde zu Erfolg zu verhelfen, da diese Strafe nicht „schlechthin unvertretbar“ wäre.


B.)Beschlüsse des Rates der Europäischen Union (EU)

Im Rat der Eu sitzen die Regierungschefs aller Mitglieder der EU und beschließen über Vereinbarungen, welche in allen EU-Staaten zu gelten haben.

B1.) Gemäß Rahmenbeschluss vom 13.06.2002 werden ab 01.01.2004 erleichterte Regeln in Kraft treten, um Beschuldigte innerhalb Europas auszuliefern. Bei 32 Deliktverbrechen – diese reichen vom Terrorismus über Drogenhandel, Beihilfe zur illegalen Einreise, Betrug, Brandstiftung bis zur Cyberkriminalität – findet keine Überprüfung statt. Gleich, ob diese auch in jenem Staat strafbar ist, von welchen die Auslieferung verlangt wird. Innerhalb von siebzig Tagen nach Festnahme hat die „Übergabe“ des Gefangenen an jenen EU-Staat zu erfolgen, der um Auslieferung ersuchte.

Künftig wird in Deutschland ein Gefangener, der aufgrund des EU-Haftbefehls festgenommen wurde, nicht mehr das Recht auf eine umfassende Prüfung durch ein Oberlandesgericht haben.

B2.) Durch Ratsbeschluss vom 06.06.2003 wurde die Auslieferung von Personen zwischen den EU-Staaten und den USA vereinheitlicht, mit dem Ziel, „zum Schutz ihrer demokratischen Gesellschaften und ihrer gemeinsamen Werte, Verbrechen effizienter zu bekämpfen.

Danach ist künftig eine Auslieferung an die USA auch bei drohender Todesstrafe zulässig, solange nur die USA erklärt, selbige im Falle der Verurteilung nicht zu vollstrecken.

Im Gegensatz zu dem oben erwähnten Ratsbeschluss von 2002 ist ein vereinfachtes Auslieferungsverfahren jedoch nur dann zulässig, sofern die auszuliefernde Person zustimmt.



C.)Analyse

Die unter A. und B. in aller Kürze dargestellten Entscheidungen, bedeuten gerade für linke politische AktivistInnen, die von Deutschland aus, beispielsweise zu Anti-Globalisierungsveranstaltungen in die USA oder EU-Staaten reisen, dass sie künftig mit Auslieferung rechnen müssen, sofern diese Staaten sie beschuldigen, Straftaten anlässlich politischer Veranstaltungen begangen zu haben.

Zwar bestimmt Artikel 16 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz, dass Deutsche nicht ausgeliefert werden dürfen, Satz 2 schränkt jedoch seit einer Grundgesetzänderung von 1994 dieses Recht ein. Danach dürfen auch Deutsch an EU-Staaten und – künftig – auch an die USA ausgeliefert werden.

Von besonderer Bedeutung dabei ist die unter A. erwähnte Senatsrechtssprechung der BVerfG, denn selbst wenn in den ersuchenden Staat menschenunwürdige Haftbedingungen und Folter drohen, so schützt dies nicht (mehr) vor einer Deportation. Wäre diese Regelung schon 2001 in Kraft gewesen, so hätten sich manche Deutsche nach den Ereignissen von Genua, denen die Ausreise nach Deutschland gelang, rascher in einem italienischen Gefängnis wieder gefunden als sie es für möglich gehalten hätten.

Dass Deutschland auch an Staaten ausliefert, welche als Beweismittel „Geständnisse“ vorlegen, die ein Staat unter Folter erzwungen hat, belegt die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Nürnberg im Fall des angeblichen ETA-Aktivisten Paulo Elkoro, um dessen Auslieferung Spanien ersuchte. (Details zu Paulo Elkoro sind unter http://www.intsol.de/paulo zu finden)

Und seit der Frankfurter Polizei-Vizepräsident Daschner im Herbst 2002 einem Verdächtigem offiziell Folter androhen ließ und als dies bekannt wurde, sein Dienstherr hierfür Verständnis äußerte, gehört auch Deutschland ganz offiziell zu jenen Staaten, die Folter als ein Ermittlungsinstrument verwenden (nur am Rande: Daschner wurde nicht suspendiert, deshalb kommt dies einer offiziellen Billigung der Folterankündigungen durch die Landesregierung gleich).

So schließt sich der Kreis! Das BVG billigt Auslieferungen in Folterstaaten, untere Gerichte schließen sich dem an und verwenden unter Folter erpresste Geständnisse; und Deutschland selbst setzt auf Folterdrohungen gegenüber Tatverdächtigen.

Wer in Spanien, Frankreich, Italien oder in einem sonstigen EU-Staat bei einer Demo künftig Steine oder einen Molotow-Cocktail wirft, wird sich rasch dem Vorwurf des „Terrorismus“ oder zumindest der (versuchten) schweren Körperverletzung ausgesetzt sehen. Sind die Personalien bekannt geworden wird man kurzerhand von Deutschland in den betreffenden Staat deportiert werden. Aber selbst vollständig friedliches Handeln kann einem künftig zur „Auslieferung“ verhelfen, nämlich dann, wenn ein Staat eine bestimmte Gruppierung zur terroristischen Vereinigung erklärt, und man nur in Verdacht steht in irgendeiner Beziehung zu dieser Gruppe zu stehen (instruktives Beispiel ist das Verfahren gegen drei junge Männer in Deutschland, die des linken Terrorismus beschuldigt werden ( Homepage der Soligruppe Magdeburg).

Insofern handelt es sich ganz offenkundig bei o.g. Entscheidungen nicht um Mittel zur Verringerung von „Kriminalität“, vielmehr wurde dies nur vorgeschoben. Es geht um die gezielte politische Verfolgung von AktivistInnen, insbesondere aus dem linken Spektrum. Denn Regierungskriminalität (beispielsweise die Beteiligung an Überfällen auf andere Staaten) wird auch künftig seitens der Justizbehörden nicht verfolgt werden, zumindest solange die Täter in US- oder EU-Regierungen sitzen!




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last modified 21.11.2017 | webmaster