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Kanzler Schröder und der verbotene Roman

Laut Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland habe jeder das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten (Artikel 5), eine Zensur findet nicht statt. Außerdem herrsche Kunstfreiheit; so die graue Theorie. Wir wissen um die besonderen Empfindlichkeiten des Bundeskanzlers Dr. Gerhard Schröder, wenn es z.B. um die Natürlichkeit seiner Haarfarbe geht! 2003 ließ er der Presse durch Gerichte verbieten zu behaupten, sein Haar wäre gefärbt. Diesen Unterlassungsanspruch leitete er aus seinem "allgemeinen Persönlichkeitsrecht" ab.

Und auch 2004 wähnte Dr. Schröder dieses sein Grundrecht sein Grundrecht in Gefahr, ja gar in schwerwiegender Weise beeinträchtigt – diesmal durch einen Roman. In einem Kleinen Verlag in Nienburg (Weser) sollte der Roman "Das Endes des Kanzlers – Der finale Rettungsschuss" erscheinen; aber der Bundeskanzler erwirkte mehrere einstweilige Verfügungen gegen den Betzel Verlag. Im April beanstandete Dr. Schröder an dem unter dem Pseudonym Reinhard Liebermann erschienenen Buch, daß auf dem Cover sein Gesicht verschwommen, aber offenbar identifizierbar, im Fadenkreuz eines Zielfernrohr abgebildet war. Das Gericht gab ihm Recht.

Vor wenigen Tagen erließ sodann das Oberlandesgericht Hamburg eine weitere einstweilige Verfügung und der 2–Personen–Verlag in Nienburg steht deshalb bald vor der Pleite. Der Bundeskanzler beanstandete diesmal, daß in dem Werk – wohlgemerkt: ein Roman – der fiktive Kanzler, es wird gerade nicht von Dr. Schröder geschrieben, von einem fiktiven Drogeriebesitzer, der sich von des Kanzlers Wirtschaftspolitik in den Ruin getrieben sieht, erschossen wird. Besonders verwerflich und die Persönlichkeitsrechte des echten Bundeskanzlers verletzend sei der Umstand, daß der fiktive Drogeriebesitzer in dem Roman hernach Journalistenhonorare erhalte für die Schilderung seiner Tat und keinerlei Reue zeige.

Eine abstruse Entscheidung! Sind dann künftig im Sinne der westdeutschen Version stalinististischen Personenkultes nur noch den – jeweiligen – Bundeskanzler huldigende Romane erlaubt? Zugegebenermaßen eine polemisierende Frage, aber wer kennt sie nicht, die Krimis und Thriller, in den denen reihenweise US–Präsidenten, britische Regierungschefs und russische Staatenlenker gemeuchelt werden. Man mag über den literarischen Gehalt streiten, aber in Buchhandlungen und Büchereien würde bald gähnende Leere im Kriminalbereich herrschen, setzte sich diese Kanzler–Rechtsprechung durch!
Wo kommen wir hin, wenn reale Regierungschefs über rein fiktive Romaninhalte bestimmen dürfen? Wie man diesen Kanter–und-Schily– Sicherheitsstaat kennt, sind Verfassungsschutz und BKA sicherlich schon eifrig dabei, den Verlag zu observieren und auf der Suche nach dem Romanautor, der die Majestätsbeleidigung wagte in einem Buch über einen erfundenen Bundeskanzler, durch einen erfundenen Drogeriebesitzer erschießen zu lassen.
Schöne neue Welt!




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last modified 21.11.2017 | webmaster