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Chaostage 1997

Chaostage 1997 - der Menschengerichtshof hat entschieden

Für den 18. bis 20. Juli 1997 waren die sogenannten „7. Lindauer Chaostage“ angekündigt und vorsorglich von der Polizei verboten worden. Die massiv präsente Polizei nahm gegen 18 Uhr einen jungen Mann, der wegen seiner Punkerfrisur deren Argwohn erweckte, in Gewahrsam. Eine Überprüfung seiner Personalien ergab, dass er schon in zurückliegenden Jahren mehrmals an „Chaostagen“ teilgenommen habe.

Kurzerhand wurde Ulrich E., so der Name des Betroffenen, abgeführt und erst am Folgetag gegen kurz vor 14 Uhr einem Richter vorgeführt, der Ulrich E. umgehend auf freien Fuß setzte.
Er klagte daraufhin vor bayrischen Gerichten gegen seine ca. 19 Stunden dauernde Inhaftierung.
Er unterlag in allen Instanzen. Sein Haarschnitt, seine Weigerung, einen Platzverweis zu befolgen und die über ihn gespeicherten Daten bei der Polizei seien eine hinlängliche Grundlage gewesen, ihn fast einen ganzen Tag lang einzusperren.
Dass er erst am Mittag des Folgetages einem Haftrichter vorgeführt worden sein, habe daran gelegen, dass es an besagtem Wochenende keinen Bereitschaftsdienst bei Gericht gegeben habe.

Ulrich E. zog erfolglos vor das Bundesverfassungsgericht und im Jahr 2000 schließlich nach Straßbourg vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wie einer nun veröffentlichten Entscheidung (in: Europäische Grundrechte Zeitschrift, 27.9.05, Heft 17/18, Seite 474-479) zu entnehmen, verurteilte der Gerichtshof die Bundesrepublik Deutschland zumindest in einem Punkt.

Verletzt sei Artikel 5 Absatz Buchstabe b der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte hinsichtlich der Dauer der Freiheitsentziehung. Nach dieser Bestimmung darf zwar jemand in Haft gehalten werden, wegen Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Gerichtsbeschlusses oder zur Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung.

Der Gerichtshof erinnert jedoch daran, dass im Hinblick auf die angekündigten „Chaostage“ ein vorbereitendes Treffen zwischen Justizbehörden stattfand und deshalb das Erscheinen eines Haftrichters erst am Folgetag zur Mittagszeit der Bedeutung des Rechts auf Freiheit der Person nicht gerecht geworden sei.

Weitere Folgen hat das Urteil des Gerichtshofes, welches schon am 24. März 2005 verkündet worden war, für Ulrich E. nicht. Es weist aber darauf hin, dass die Gerichte verpflichtet sind, einen Bereitschaftsdienst vorzuhalten, um tatsächlich zeitnah über Fragen des Polizeigewahrsams zu entscheiden.
Um es nochmal zu betonen: Die Festnahme an sich billigte der Menschengerichtshof ausdrücklich, lediglich die Dauer der Inhaftierung wird von ihm beanstandet.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA - Z. 3117, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
homepage: http://www.freedom-for-thomas.de




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last modified 21.11.2017 | webmaster