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Kampf um Freiheit

Kampf um Freiheit

Als vor etwa zehn Jahren zwei Gefangene in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Celle erfolgreich ihre - vorübergehende - Freilassung erkämpften, sie nahmen einen Beamten als Geisel, schrieb ich in einem Leserbrief an eine süddeutsche Lokalzeitung von Freiheitskämpfern. Die Verwendung dieses Begriffs führte zu zwei erregten Leserbriefen seitens des Personals der JVA Freiburg, die sich sehr über das Wort Freiheitskämpfer empörten und damit alle Vollzugsbediensteten als beleidigt ansahen.
Ich möchte im Folgenden der Frage der moralischen Legitimität des Kampfes um und für Freiheit seitens gefangen gehaltener Menschen nachgehen.

Was ist überhaupt Kriminalität?

Wann immer von Gefangenen die Rede ist, fallen alsbald populistische Bemerkungen, wonach es doch primär Kinderschänder, brutale Räuber und Vergewaltiger, sowie Mörder seien, die - völlig zu Recht - hinter den Mauern eingesperrt seien. Eine solche - wenig reflektierte und durchdachte - Position verkennt, dass zu Anfang sämtliche menschliche Handlungen schlicht physikalische Vorgänge und mithin wertneutral sind. Gewisse Handlungstypen werden durch Normsetzung zu Verbrechen, oder Vergehen, erklärt. Und auf dieser Grundlage werden konkrete Handlungen im Wege der Normanwendung durch Zuschreibungsakte als kriminelles Verhalten definiert.

Jedoch weder die Festlegung der gesetzlich erfassten Handlungstypen, noch die Auswahl der konkreten individuellen kriminalisierten Handlungen erfolgen zufällig oder "gleich" im Sinne gleichen Risikos für sich gleich verhaltender Menschen.

Vielmehr sind Normsetzung und Normanwendung auf Handlungen in den Unterklassen konzentriert!

Untersuchungen des Professors Pfeiffer, ehemaliger Justizminister, belegen anschaulich, wie trotz Absinkens der Kriminalitätsrate im letzten Jahrzehnt die Zahl der Gefängnisinsassen steigt und steigt.


Zerstörung der Solidarität

Rekrutiert sich der überwiegende Teil der Inhaftierten aus der Unterschicht, so ist zu fragen, wie es um die Solidarität zwischen freien (wobei dieser Zustand relativ ist, sind doch auch sie in großen Bereichen faktisch unfrei) und gefangen gehaltener Menschen bestellt ist.

Das heute existierende Strafrechtspflegesystem hat auch die Funktion, den Eindruck zu fördern, die größte Bedrohung von Leben und Besitz komme von den Armen. Dadurch wird bei den Lohnabhängigen die offene Feindschaft gegen "Straftäter" aus den eigenen Reihen geschürt, die Klassensolidarität zerstört und von Polit- wie Unternehmerkriminalität abgelenkt.
Sie sehen nicht, dass sie ihre eigenen Klassengenossen die Rechnung bezahlen lassen, statt die Kraft des Protestes zur Überwindung von Klassengegensätzen zu bündeln.

Und diese zerstörte Solidarität macht es der herrschenden Klasse leicht, weiter Ängste in populistischer Manier zu schüren.


Moralische Legitimität des Kampfes um Freiheit

An dieser Stelle folgen nun keine Beispiele über Mißstände im Strafvollzug, denn es kann nicht darum gehen, die aktuellen Zustände lediglich zu "verbessern", im Sinne einer Umgestaltung der Gefängnisse in Hotels. Dieser Ansatz wäre reformistisch und ist abzulehnen, denn er beseitigte nicht das Kernproblem: Das Fehlen jeglichen ethischen Anspruchs, Menschen wegzusperren.

Wo Grundfreiheiten verweigert werden, kann sich der Mensch nicht entfalten; Freiheit ist, wenn man so will, unteilbar.
Keine Repression und keine Unterdrückung dieser Welt werden die Stimme der Freiheit zum verstummen bringen, dies zeigen die Kämpfe der kurdischen Gefangenen in der Türkei, die der Inhaftierten in Spanien, aber auch - immer wieder - in Süd-/Nordamerika oder in Afrika.

Der Drang nach Freiheit und nach einem Leben in Würde ist und bleibt die treibende Kraft des Wandels zum Guten.

Wer nun seinen Finger moralisierend und belehrend erhebt, um unter Hinweis auf die Opfer jener Menschen, die zurzeit im Gefängnis sitzen, zu fordern: "Wegschließen - am besten für immer" tappt in die oben beschriebene Entsolidarisierungsfalle. Es geht nicht darum, irgendetwas schön zu reden, es geht nicht darum, das Leid missbrauchter Frauen, Kinder, seelisch oder körperlich verletzter Menschen in Abrede zu stellen oder klein zu reden.

Hier und jetzt geht es ausschließlich um die Frage, ob Gefangene das Recht haben, für ihre Freiheit zu kämpfen!
Und in diesem Zusammenhang sind auch Visionen notwendig. Dass es nämlich möglich ist, ein gesellschaftliches Miteinander ohne Knäste zu organisieren - d.h. eine Gesellschaft ohne Kriminalität!

Solange wir noch nicht soweit sind, ist meines Erachtens der Widerstand derjenigen Gefangenen, die bereit sind, für ihre Freiheit zu kämpfen, moralisch legitim. Zwar mag man mir vorwerfen, ich spräche hier quasi pro domo, also auch für mich selbst, aber dies macht das Anliegen deshalb nicht falsch.


Unterstützung von außerhalb der Knastmauern.

Es dürfte klar sein: Ohne Hilfe, sei sie moralischer oder/und praktischer Natur, von Menschen in Freiheit, werden die Kämpfe innerhalb der Gefängnisse nicht weit kommen. Allerorten, ob in Deutschland, England, USA, um nur drei Staaten zu nennen, bilden sich immer mehr und neue Gruppierungen, die für eine Abschaffung der Gefängnisse eintreten.

Jede einzelne Frau, jeder einzelne Mann, welche/r sich für die Sache der Inhaftierten verwenden, ist ein Lichtblick mehr. Und zwar nicht etwa nur für die gefangen gehaltenen Menschen, sondern für die Gesellschaft insgesamt; weist doch solche Unterstützung darauf hin, dass die Menschheit noch nicht vollends verrottet und vom Virus des Kapitalismus innerlich zerfressen ist.

Denn schon alleine die Existenz der Knäste, erst recht ihre zunehmende Anzahl, ist auch ein Gradmesser für die innere Zerstörung einer Gemeinschaft.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA - Z. 3117, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
homepage: http://www.freedom-for-thomas.de




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last modified 21.11.2017 | webmaster